``Kannst du mich über die Mauer zaubern?`` - Mein Auftritt in der JVA Remscheid

Ein Auftritt hinter verschlossenen Türen. Vor ein paar Tagen habe ich für die Häftlinge der JVA Remscheid gezaubert. Begleitet wurde ich dabei von meinem Freund und Journalisten Jan Schulte.

Heute gibt es mal einen besondern Blog, denn ich lasse die Geschichte von jemand anderem erzählen. Und zwar vom Journalisten und Radio Moderator Jan Schulte.
Also bitte Jan, wir sind ganz Ohr 🙂

Eigentlich ist Marc Weide, obwohl erst 26 Jahre alt, ein erfahrener Entertainer. Eigentlich. „Ich weiß gerade nicht, wann ich das letzte Mal so angespannt war“, gibt der amtierende Deutsche Vizemeister der Zauberkunst kleinlaut von sich. Er kramt nach seinem Personalausweis. Die Anspannung verwundert nicht. Der Gevelsberger soll an diesem Montagabend in Remscheid zaubern – vor den Häftlingen der JVA in Lüttringhausen, von Anwohnern auch „die Burg“ genannt. Mörder, Räuber, Erpresser und Betrüger – das wird heute Weides Publikum sein. Straftäter statt Familien mit Kindern oder Firmenkunden, mit denen der junge Magier sonst große Säle füllt.

Handy-Trick im Knast nicht erlaubt

Schon an der Außenpforte, der sogenannten Schleuse, wird Marc Weide klar, dass dieser Auftritt nicht wie jeder andere werden wird. „Normalerweise spaziere ich immer rein und sage: ,Hallo, hier bin ich.‘ Heute geht das nicht, da muss ich erst mal den Ausweis abgeben und werde gefilzt. Total komisch“, sagt Marc Weide, nachdem er im Besuchsbereich der Anstalt erst mal warten muss. Eine braune Umhängetasche und einen Barhocker, mehr hat der Gevelsberger an Requisiten nicht dabei. „Ich spiele ein abgespecktes Programm, so viel Zeit habe ich hier heute nicht.“

Von weitem ist zu hören, wie mehrere Türen aufgeschlossen werden. Die Schlüsselgeräusche nähern sich. Philipp Brinkmann, Vollzugsbeamter und Kumpel von Marc Weide, steht auf einmal im Raum. „So, dann wollen wir mal. Nervös? Du siehst so aus“, sagt der Schwelmer, der schon seit mehreren Jahren in der JVA arbeitet und den Auftritt des Magiers angeleiert hat. Noch ehe Marc Weide, ein wenig bleich im Gesicht, antworten kann, muss er seine Taschen leeren. „Mein Handy darf ich mitnehmen?“ – „Nein. Das ist verboten.“

Obwohl Marc Weide schon in Las Vegas, New York oder auch im Hamburger Schmidt-Theater auf der Bühne stand – die Gitterstäbe, die hohen Mauern, der Stacheldraht, die schweren Türen, das alles ringt dem Zauberer immer wieder große, erstaunte Blicke ab. „Angst habe ich nicht“, sagt er, während er mit Philipp Brinkmann das alte preußische Hafthaus betritt, „aber definitiv Respekt.

Mehr als 500 Häftlinge sitzen in Remscheid derzeit ihre Strafen ab. „Das ist hier wie eine kleine, in sich funktionierende Stadt“, erzählt ein anderer JVA-Beamter, der sich dazu gesellt, während Marc Weide darauf wartet, dass die „Kirche“, in der die Show gleich steigen soll, frei wird. „Da ist gerade noch die Yoga-Gruppe drin. Sind aber gleich fertig“, sagt Philipp Brinkmann.

Donnernder Applaus

In einer Stunde soll der Zauberer Kartentricks zeigen und den schweren Jungs ein wenig Ablenkung im tristen Gefängnisleben bereiten. Dafür muss die mittlerweile frei gewordene „Kirche“ aber erst einmal bestuhlt werden. „Wie viele kommen denn wohl?“, fragt Marc Weide seinen Kumpel Brinkmann. „Ich denke, dass es voll werden wird. So etwas hatten wir hier noch nicht.“ Hinterher stellt sich raus – die knapp 60 Stühle, die die Beamten zusammen mit einigen Gefangenen aufbauen, werden nicht ausreichen. Der Raum, in dem sonst Gottesdienste stattfinden und wo Freizeitgruppen ihre Sitzungen abhalten, wird aus allen Nähten platzen. Ein Zauberer im Knast – das wollen sich viele Remscheider Knackis nicht entgehen lassen.

Über 80 Häftlinge füllen irgendwann den Raum, mit fünfminütiger Verspätung beginnt Marc Weides Zaubershow im Knast. „Ich wünsche Ihnen viel Spaß, heute Abend wird Marc Weide Sie hier ein wenig verzaubern“, begrüßt JVA-Beamter Philipp Brinkmann das Publikum. Der erste Applaus hallt durch den Raum. Jetzt ist der Magier in seinem Element.

„Hallo, ich bin Marc, ich bin 26 und Zauberer. Schön, dass ihr da seid.“ Der erste Trick, bei dem der Gevelsberger mehrere Münzen erscheinen und wieder verschwinden lässt, sitzt. Das Publikum beißt an – ein Unterschied zu „normalen“ Gästen, wie sonst etwa im Schwelmer Ibach-Haus oder dem Filmriss-Kino in Gevelsberg, ist kaum zu erkennen.

Egal, ob Sträfling, Familienvater oder Grundschülerin – wenn Marc Weide aus einem Würfelbecher erst einen Würfel, dann eine Zitrone und später noch eine Kartoffel erscheinen lässt, staunt jedes Publikum. „Wie macht der das?“, „Hast du das gesehen?“, „Wo ist es hin?“ – auch die Remscheider Gefangenen sind voll in Marc Weides Bann.

Als zwei der schweren Jungs dann für eine Entfesselungsnummer zum Gevelsberger nach vorne kommen dürfen, kennt die Begeisterung im Publikum keine Grenzen mehr. Teils bis unters Kinn tätowierte Männer mit vormals grimmigem Blick, dicken Muskeln und langen Haftstrafen im Nacken, strahlen, als hätten sie für einen Moment vergessen, wo sie da sind, warum sie da sind und wie lange sie vielleicht noch da sind.

Nach 40 Minuten ist Marc Weide mit seiner Show durch, das Publikum spendet donnernden Applaus. „Ich danke euch und wünsche euch noch einen schönen Tag“, ruft der Magier laut. Die meisten Knackis können darüber lachen – denn sie wissen, dass sie gleich wieder eingesperrt werden und dass die schöne Zeit dann wohl erst einmal wieder vorbei ist.

Kein großer Unterschied

„Der hat uns von Anfang an mit seinem jugendlichen Charme eingefangen. Niemand von uns hat erkannt, wie er das alles gemacht hat. Das war großartig, ich bin begeistert“, sagt Häftling Sven hinterher. „So etwas hat es hier noch nicht gegeben. Für uns ist das etwas Besonderes“, erzählt er, „das zeigt, dass man uns draußen nicht ganz vergessen hat und wir damit auch ein Teil der Gesellschaft sein dürfen.“

Auch der Gevelsberger, noch immer voller Adrenalin, ist hinterher vollends begeistert: „Die sind super mitgegangen, haben viel gelacht. Das war ein tolles Publikum.“

Acht Türen sind es für den Gevelsberger Zauberer, bis er die Freiheit wieder hat. Für sein Publikum öffnen sich diese streng bewachten Türen teilweise erst nach Jahren wieder. „Mir hat es gefallen. Gefängnis ist krass.

Aber immerhin ist heute kein Gast früher nach Hause gegangen“, scherzt Weide, der gerne wiederkommen will. Dann allerdings zum „Tag der offenen Tür“. Denn „die Burg“ will sich Marc Weide noch einmal näher ansehen.

Quelle: https://www.wp.de/staedte/ennepetal-gevelsberg-schwelm/marc-weide-entfesselt-schwere-jungs-im-knast-id211528833.html
Autor: Jan Schulte

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